06/2024 - Nachvollziehbar­keit der Tarifgestaltung der EVN AG, Prüfauftrag

Zusammenfassung

Die EVN AG betrieb die Endkundengeschäfte in den Geschäftsfeldern Strom und Gas mit der EVN Energievertrieb GmbH & Co KG und im Geschäftsfeld Fernwärme mit der EVN Wärme GmbH. Diesen beiden Gesellschaften oblag auch die Ausgestaltung der Allgemeinen Geschäfts- und Lieferbedingungen, der Verträge sowie der Tarife.
Die Strombeschaffungsgeschäfte führte die ENERGIEALLIANZ Austria GmbH durch, die an und außerhalb der Energiebörsen kurzfristige Spotgeschäfte sowie langfristige Termingeschäfte tätigte. Dafür waren abhängig von den Marktpreisen und deren Schwankungen (Volatilität) finanzielle Sicherheiten (Margins) zu hinterlegen. Das erforderte eine entsprechend hohe Liquidität. Gasbeschaffungen nahmen die Gesellschaften selbst vor.
In den Geschäftsjahren 2020/21 bis 2022/23 verzeichnete weder die EVN AG noch die EVN Energievertrieb GmbH & Co KG Verluste aus Verträgen zur Absicherung von Stromgeschäften (Futures, Forwards). Auch zu einem Liquiditätsengpass kam es nicht.
Im Geschäftsjahr 2021/22 waren 88,1 Prozent des Strombezugs (3.268,2 Gigawattstunden) über Futures abgesichert. In den Monaten August und September 2022 wurde die Beschaffung von 601,2 Gigawattstunden Strom für die Jahre 2022 bis 2025 zu durchschnittlichen Preisen von 19,0 Cent bis 62,0 Cent je Kilowattstunde gegen Risiken abgesichert. Die abgesicherten Strommengen orientierten sich fristenkongruent am Stromabsatz.

Verzögerte und unterschiedliche Auswirkungen der Entwicklungen auf den Energiemärkten auf die Verbraucherpreise

Die außergewöhnlichen Steigerungen der Großhandelspreise für Strom und Gas – wegen Abschaltungen von Atomkraftwerken, niedrigen Wasserständen in Flüssen und dem Angriffskrieg gegen die Ukraine – erhöhten vor allem von August 2021 bis August 2022 die Beschaffungskosten der EVN Energievertrieb GmbH & Co KG. In weiterer Folge erhöhten sich dadurch die Tarife für die Endverbraucher, die an den Österreichischen Strompreisindex, den Österreichischen Gaspreisindex und den Europäischen Gaspreisindex gebunden waren. Die Großhandelspreise wirkten sich je nach Vertragsmodell und Produktfamilie (Garant, Float, Flex, Klassik) zeit- sowie wertmäßig unterschiedlich auf die Tarife aus.

Keine Untersuchung der Fernwärmetarife nach dem Preisgesetz

Im Geschäftsfeld Fernwärme kamen die Preissteigerungen durch die Wertsicherung laut den Preisblättern zu den Wärmelieferverträgen der EVN Wärme GmbH zustande. Dafür galt ein Mix aus verschiedenen Indizes (Verbraucherpreisindex, Energieholzindex, Großhandelspreisindex für sonstige Mineralölerzeugnisse und andere), in denen sich die Kosten (Erzeugung, Vertrieb) und die Großhandelspreise für die Primärenergieträger (Biomasse, Erdgas, Erdöl) niederschlugen. Die Anwendung der verschiedenen Indizes milderte die Auswirkungen der Preissteigerungen einzelner Energieträger auf die Fernwärmetarife. Dieses System änderte sich nach dem 24. Februar 2022 (Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine) nicht.
Im Zeitraum 1. Oktober 2023 bis 30. April 2024 gewährte die EVN Wärme GmbH jedoch Rabatte, vor allem um im Vergleich zu alternativen Heizungsformen konkurrenzfähig zu bleiben und Reputationsverluste wegen vergleichsweise hoher Tarife sowie den Vorwurf der Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zu vermeiden. Die wirtschaftliche Lage der Verbraucher war dafür nicht ausschlaggebend. Eine Untersuchung nach dem Preisgesetz 1992 oder andere Hinweise, dass die Fernwärmetarife die allgemeine Preiserhöhung des Wirtschaftszweigs in einem ungewöhnlichen Maß überstiegen, lagen nicht vor.

Preisanpassungen und Kündigungen von Altverträgen aus betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen

Die Preisanpassungen bei Strom, Gas und Fernwärme umfassten sowohl Preissteigerungen als auch Preissenkungen. Diese erfolgten aus betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen sowie nach den jeweiligen Vertragsgrundlagen.
Die Preissteigerungen auf den Strom- und Gasmärkten erhöhten vor allem die Kosten für kurzfristige Beschaffungen von Strom- und Gasmengen, insbesondere für die Übernahme von rund 45.000 Kunden, die von ihren Energieversorgern (Diskontern) gekündigt worden waren. Aus betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen mussten höhere Kosten grundsätzlich durch entsprechend höhere Tarife abgedeckt werden.
Das war bei Altverträgen (Klassik-Produkte) im Unterschied zu indexgebundenen Verträgen (Flex- und Float-Produkte) nicht durchsetzbar, was sich in der Rechtsprechung (Zustimmungsfiktion, Preisänderungsrecht) ab dem Jahr 2018 abgezeichnet hatte.
Im März 2023 wurden schließlich rund 389.000 Energielieferverträge für Strom und Gas gekündigt und ein Wechsel zu einem neuen Tarif angeboten. Dieses Tarifangebot nahmen rund 317.000 oder 81,5 Prozent der Kunden an. Die Vorgangsweise diente der Rechtssicherheit, woran durchaus ein öffentliches Interesse bestand, beeinträchtigte jedoch die Reputation der Dachmarke EVN insbesondere in Bezug auf ihre Kundenorientierung.

Keine Zusatzgewinne durch höhere Verbraucherpreise, sondern aus Stromerzeugung beziehungsweise Beteiligungen

Im Geschäftsjahr 2022/23 verzeichnete die evn naturkraft Erzeugungsgesellschaft mbH ein Betriebsergebnis (EBIT) von 238,1 Millionen Euro, welches gemeinsam mit den Erträgen aus Beteiligungen (Verbund AG, Burgenland Energie AG) von 189,0 Millionen Euro in den Konzernabschluss einfloss. Diese positiven Entwicklungen waren vor allem auf Preiserhöhungen auf den Großhandelsmärkten sowie auf den Kapazitätsausbau von Windkraft (rund 20,0 Millionen Euro) zurückzuführen.
Verglichen mit den Vorjahren betrug ein „normalisiertes Ergebnis“ der evn naturkraft Erzeugungsgesellschaft mbH angabegemäß rund 100,0 Millionen Euro, womit sich Zusatzgewinne im Geschäftsjahr 2022/23 von 138,0 Millionen Euro ergaben. Nach dieser Berechnung kamen aus der Dividende der Verbund AG und dem Ergebnisbeitrag der Burgenland Energie AG 128,0 Millionen Euro hinzu. Diesen Zusatzgewinnen von insgesamt 266,0 Millionen Euro standen jedoch Verluste und Gewinneinbrüche der EVN Energievertrieb GmbH & Co KG und der EVN Wärme GmbH gegenüber, weil diese Gesellschaften die gesamten Strom- und Gasmengen für ihre Endkunden nicht selbst erzeugten, sondern zu den gestiegenen Großhandelspreisen beschaffen mussten. Das führte zu einem negativen Betriebsergebnis bei der EVN Energievertrieb GmbH & Co KG von 240,3 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2022/23. Das Betriebsergebnis der EVN Wärme GmbH betrug 15,7 Millionen Euro. In Summe ergab sich daraus im Geschäftsjahr 2022/23 ein negatives Betriebsergebnis aus dem Endkundengeschäft von 224,6 Millionen Euro.

Festgelegte Gebühren der E-Control flossen in die Netze

Die Netz Niederösterreich GmbH verwendete die Gebühren (Netznutzungsentgelte), die die E-Control festgelegt hatte, sowohl für den Ausbau als auch für die Instandhaltung der Netze im gesetzlich vorgesehenen Rahmen. In den Geschäftsjahren 2013/14 bis 2022/23 betrug für das Strom- beziehungsweise Gasnetz der Anteil der Abschreibungen am Netznutzungsentgelt durchschnittlich 26,7 Prozent beziehungsweise 25,2 Prozent.

Zertifikate über Herkunft aus Österreich und CO2-Freiheit

Die EVN Energievertrieb GmbH & Co KG konnte ihr Versprechen „100 % Strom aus Österreich, 100 % CO2-frei“ auf zertifizierte Herkunftsnachweise der TÜV AUSTRIA GMBH stützen.

Hinweise auf Verbesserungen und Herausforderungen

Die Hinweise auf Verbesserungen betrafen das Beschaffungswesen und das Risikomanagementsystem der EVN Wärme GmbH, die teilweise bereits umgesetzt wurden, sowie die Vornahme von systematischen Nachkalkulationen zu den Strom-, Gas- und Fernwärmetarifen.
Außerdem war die EVN Energievertrieb GmbH & Co KG gefordert, ihre Allgemeinen Lieferbedingungen und Vertragsformulare sowie ihre Kommunikation so zu gestalten, dass damit markt- und rechtskonforme Preisanpassungen erfolgen können, die den Ansprüchen und Werten der Dachmarke EVN insbesondere in Bezug auf die Kundenorientierung gerecht werden.
Sie stand dabei weiterhin – unbeschadet rechtlicher und wirtschaftlicher Erfordernisse und verbesserter digitaler Informationen – vor der Herausforderung, ihr Verständnis von richtiger, vollständiger und zeitnaher Information mit dem ihrer (potenziellen) Kunden in Einklang zu bringen. Das betraf die schriftliche und die mündliche Kommunikation, die zielgruppengenau und leichter verständlich über das bestehende und das zukünftige Preis-Leistungs-Verhältnis sowie über dessen finanzielle Auswirkungen (Indexierung, Preisanpassungen) auf den jeweiligen Kunden informieren sollte.
Energiedienstleistungen waren entsprechend den rechtlichen und wirtschaftlichen Anforderungen bereitzustellen. Aufsichtsrat und Vorstand waren dabei primär dem Wohl des Unternehmens verpflichtet. Das sollte letztlich auch im Interesse der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie im öffentlichen Interesse gelegen sein. Im Rahmen des Aufsichtsrats der EVN AG lag es auch bei den Kapitalvertretern des Landes NÖ, darauf beziehungsweise allenfalls auf dahingehende Verbesserungen hinzuwirken.
Die EVN Energievertrieb GmbH & Co KG strebte ein klar geregeltes gesetzliches Preisanpassungsrecht mit einer Zustimmungsfiktion und einem Kündigungsrecht auf Kundenseite an, mit festgelegten Kriterien, um weitere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Maßnahmen zur sozialen Verantwortung

Die soziale Verantwortung gegenüber ihren Haushaltskunden kam in Maßnahmen, wie dem Verzicht auf Abschaltungen bei Strom, Gas und Fernwärme (angabegemäß 1. Dezember 2022 bis 30. April 2023, 1. Dezember 2023 bis 31. März 2024) sowie in der Einrichtung eines Energiehilfe-Fonds von drei Millionen Euro, zum Ausdruck.
Die EVN AG und die NÖ Landesregierung sagten in ihren Stellungnahmen vom 18. September 2024 und vom 22. Oktober 2024 zu, die sie betreffenden Empfehlungen des Landesrechnungshofs umzusetzen, und informierten über die dazu geplanten beziehungsweise bereits gesetzten Maßnahmen.